Am 12. August 2005 jährte sich zum 50. Mal der Todestag des Dichters Thomas Mann (1875 – 1955). Sein Hauptwerk, den „Zauberberg“, nennt er in einer Ansprache vor amerikanischen Studenten eine moderne Grals Suche. Tatsächlich trägt das Buch Züge einer hermetischen Einweihung, deren innerer Raum die Zeit, die sieben Jahre Aufenthalt in einem Davoser Lungensanatorium ist. Der Held des Werkes erlebt in der räumlichen Entfernung ein Vergessen, die Lethe, welche sich als Voraussetzung zu einer inneren Entfernung: als Zeitreise nämlich, erweist.
In sieben Kapiteln, sieben Jahren durchschreitet der Roman die sieben klassischen Stufen einer Einweihung: vom Herantreten an eine Todesschwelle, dem Rückblick auf Vergangenes, bis zur symbolischen Todeserfahrung, Begegnung mit der Elementarwelt, der Astralwelt, Auferstehung und letzter Verwandlung. Die Prüfungen, die dabei an ihn herantreten, spiegeln die Summe geistiger Möglichkeiten als Verführungen: vom Diktat des Terrors bis zur unverbindlichsten Freigeistigkeit. Damit wird der Roman zu einem breit angelegten Bild der Moderne, ist Zeitroman, Entwicklungsroman und hermetische Stufenfolge in einem.
Diese Tiefenschicht, die gleichzeitig sprachliche und kompositorische Meisterschaft, die dem Dichter den Nobelpreis eingetragen hat – auch wenn er ihn äusserlich für die zuvor erschienenen, unerhört populären „Buddenbrooks“ erhielt – ruft zugleich die Frage nach den karmischen Wurzeln von Thomas Manns Lebenswerk wach: Wo liegt der verborgene Quellpunkt, aus dem sich letztlich sein künstlerisches Schaffen speist?
Vortragsaufnahme (gehalten im Scala Basel am 17. August 2005)