Ein charakteristisches Merkmal des manichäischen Christentums ist, dass sein Gründer ein Künstler war. Mani hat durch seine ästhetische Natur die Kunst in einem solchen Maße der Religion dienstbar gemacht, dass man beim Manichäismus von einer Einheit von Wort und Bild sprechen kann. Mani sagte, dass er, im Gegensatz zu den anderen Lichtaposteln wie Zarathustra, Buddha und (dem historischen) Jesus, sehr wohl dazu übergegangen sei, die Weisheit, die er von Gott empfangen hat, aufzuschreiben und zu malen.
Mani war als Schriftsteller ein anschaulicher Dichter, der mit energischen Worten gleichsam malte – er selbst sprach von seinen lebendigen Schriften – in der dramatischen Dialektik von Licht und Dunkel. Er besaß eine ganz besondere literarische Begabung, mit der er als bildhafter Redner auch das Volk beeindruckt haben muss. Die Tatsache, dass sich Mani außer als Maler und Dichter eines theologisch-poetischen Mythos auch als ein aufsehenerregender Musiker manifestierte, kann man bei Augustinus nachlesen. Dieser berichtete, dass Manis Musik laut seiner Glaubensgenossen göttlichen Ursprungs sei. Das erinnert uns an Orpheus, der mit seiner Musik das unruhige Begehren der wilden Tiere bändigte.
Dieses umfassende Werk über den Manichäismus basiert auf den wesentlichen Textfunden von 1930 und 1969, die für eine grundlegende Veränderung in der Forschung gesorgt haben. Die Lehren des Religionsstifters Mani (216-276) galten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als häretisch und mit dem Christentum unvereinbar. Nicht zuletzt der Kirchenvater Augustinus, zunächst Anhänger, dann Gegner der Lehren Manis, war für diese Verketzerung verantwortlich. Doch was war das Besondere an dieser Religion, die nach Osten bis China und nach Westen bis Spanien und Flandern gewirkt hat? Die Annahme der Reinkarnation der menschlichen Seele sowie die Ansicht, Licht und Dunkel seien keine einander entgegenwirkenden Kräfte, führten zu starken Anfeindungen durch die Kirche. Offensichtlich sorgten diese und weitere besondere Inhalte der manichäistischen Lehre dafür, dass ihre kirchlichen Gegner das Bestreben hatten, sie bis auf den Kern auszurotten und der Vergessenheit anheim zu geben. Roland van Vliet korrigiert diese Missverständnisse anhand so bedeutender neuzeitlicher Funde wie dem Kölner Mani-Kodex. Der Manichäismus erweist sich anhand dieser Quellen als eine wesentlich von der Kunst geprägte Religion, und als ein Christentum der Freiheit, Liebe – und der Zukunft.