jetzt sehen Sie unser ‚Baby‘. Das Baby meiner kleinen Schwester und mir.
Ich habe ganz bewusst dieses Wort gewählt, weil der Prozess bis zur Entstehung dieses Buches wohl genauso schmerzhaft wie eine Geburt war.
Ein Prozess mit etlichen Hoffnungen, Erwartungen und Niederlagen, mit Hinfallen und Wiederaufstehen.
Sie halten dieses Buch in den Händen, dessen Inhalt unser Gesundwerden zeigt und Ihnen Mut machen soll. Mut den ersten wichtigen Schritt zur Heilung zu tun: nämlich das Anerkennen und das Auseinandersetzen mit der Depression.
Ich selbst war Meisterin der Verdrängung, jemand der immer stark sein wollte, hart zu sich selbst.
Ich wollte nur keine Fehler machen, nicht anecken und mir keine Schwächen anmerken lassen.
Perfektionismus in allen Bereichen, das war es, was ich der Welt von mir zeigte. Oft bin ich dabei weit über meine Grenzen gegangen, eingestanden habe ich mir das natürlich nicht.
Selbstverständlich habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Alles verstärkte sich besonders, als in einem Monat so viele schreckliche Dinge passierten. Einzeln verpackt wahrscheinlich noch zu verkraften, aber die Anzahl der Geschehnisse brachten mich aus dem Gleichgewicht, zogen mir den Boden unter den Füßen weg und es ging stetig bergab mit mir, psychisch und physisch.
Ich ging zum Arzt, zur Therapie. Diagnose: Depression und posttraumatische Belastungsstörung.
Man wollte mich krankschreiben und ich bekam Antidepressiva. Aber bin ich denn krank? Nein, ich doch nicht! Medizin um zu funktionieren wollte ich auch nicht nehmen, ich dachte, dass ich das alleine auf die Reihe kriege.
Es verging ein weiterer Monat, in dem ich kämpfte und versuchte wie gewohnt zu funktionieren, aber es gelang mir immer weniger.
Ich hatte Schlafstörungen, Weinkrämpfe (ich konnte mitunter gar nicht sagen, warum ich so traurig war), ich vergaß immer öfter Dinge, mein Körper fühlte sich leer an und wie Blei, unfähig sich zu bewegen. Ich hatte oft das Gefühl keine Luft zu bekommen, denn meine Brust war wie zugeschnürt. Noch dazu kam diese bleierne Traurigkeit, die sich langsam den Rücken hochschlich.
Es gab Tage, an denen ich einfach nur aus mir raus ins Leere starrte, manchmal mochte ich gar nicht aufstehen.
Wenn ich es trotzdem gegen den Willen meines Körpers tat, bekam ich weiche Knie und meine Hände zitterten. Der Alltag kostete unendlich viel Kraft. Dazu kamen Schuldgefühle meiner Familie und in erster Linie meinen Kindern gegenüber, weil ich nicht wie gewohnt funktionieren konnte. Irgendwie waren auch Zeit und Raum außer Kontrolle geraten. Ich hatte das Gefühl einfach stehengeblieben zu sein, während um mich herum das Leben stattfand und die Zeit verging, ohne dass ich das richtig realisieren konnte.
Die Hochs und Tiefs verliefen bei mir wie in ausgeprägten Wellen. Wobei der Ausschlag nach oben und unten extrem war. Aber mit der Zeit pendelte sich der Ausschlag nach oben und unten langsam aus.
Wenn Sie auch unter diesen Symptomen leiden, möchte ich Ihnen an dieser Stelle Mut machen und sagen: es kann wieder besser werden. Nicht aufgeben, denn es gibt Licht am Ende das Tunnels! Ich sage nicht, dass es schnell geht. Es erfordert viel Arbeit an sich, viel Zeit und nicht zuletzt Geduld mit sich selbst.
Am Tiefpunkt angekommen, entschied ich mich doch für die Medizin. Mein Freund war sie zu diesem Zeitpunkt trotzdem nicht. Es dauerte noch einige Monate, in denen ich mich mehr schlecht als recht durchs Leben mogelte.
Mein Aha-Erlebnis hatte ich, als ich zur Reha fahren durfte (glauben Sie mir, da hat meine Therapeutin viel Überzeugungsarbeit leisten müssen). Erst da setzte ich mich wirklich mit der Krankheit auseinander und mit dem, was es heißt, mit Depression zu leben.
Ich machte dort auch meinen Frieden mit den Antidepressiva. Aber der elementarste und wichtigste Satz für mich war die Aussage eines Arztes in der Begrüßungsrede. Ich habe ihn für mich notiert und verinnerlicht und ich möchte ihn an Sie weitergeben: „Heilung braucht Zeit, denn die Seele ist zu Fuß unterwegs.“
So ist es. Seien Sie geduldig mit sich selbst und geben Sie sich Zeit gesund zu werden. Der erste Schritt für mich war gemacht. Der zweite Schritt war ein kleines schwarzes Büchlein, das mir meine Freundin vor der Reha schenkte. Ich war frei von allen Alltagszwängen und ich begann zu malen. Erst zögerlich, nach Themen suchend ließ ich der Phantasie freien Lauf.
Es wurde schließlich ein Befreiungsschlag. Immer wenn ich nicht schlafen konnte, Angst und Panik meine Brust zuschnürten, die schwarze Traurigkeit den Rücken hochschlich, dann malte ich und ich malte mich frei.
Die immer kreisenden Gedanken waren raus aus meinem Kopf, in einem Buch, das ich einfach zu machen konnte. Dann ging es mir besser.
Meine Schwester (die die gleiche Diagnose hat wie ich) haben die Bilder sehr angesprochen und bewegt und es haben sich bei ihr durch meine Bilder einige Blockaden gelöst. Sie sagte, dass sie sich wünschte, auch malen zu können, weil es mir so hilft.
Ich erinnerte sie daran, dass sie als Jugendliche gedichtet hatte, und ermutigte sie dazu wieder zu schreiben. Die ersten Zeilen kamen auch sehr zögerlich, so wie bei mir die Bilder, aber dann sprudelten sie aus ihr heraus.
Genau das ist es was wir Ihnen mitgeben und womit wir Ihnen Mut machen wollen. Probieren Sie sich aus. Malen, schreiben oder musizieren Sie sich frei. Es geht dabei nicht um ein Ergebnis, das besonders künstlerisch hochwertig sein soll, sondern um das Tuen selbst, um das ‚Mit-sich-auseinander-setzen’ und seinem Gefühlsleben Ausdruck zu verleihen. Ich möchte Ihnen ganz viel Kraft für Ihren Weg wünschen und ich hoffe sehr, dass ich Ihnen ein wenig Licht im Dunkel schenken konnte. Ein weiterer Wunsch von mir ist, mit unserem Buch Verständnis und Empathie bei Familienangehörigen von Menschen die an Depression erkrankt sind zu wecken, denn diese Dinge sind für das Gesundwerden unerlässlich. Vielleicht können meine Bilder die verschiedenen Gemütszustände besser ausdrücken, als es der betroffene Mensch gerade mit Worten vermag. Ich wünsche Ihnen alles Gute…
Erschienen 2016
Preis: 11,80 Euro
ISBN 978-3-945346-47-1
Leseprobe:
Die Farbe Schwarz (Rabenschwester)
Fragen an die Mutter
Ich schaue zurück und frage mich: Warum schützest du uns nicht?
Er war DEIN Mann, DU wolltest ihn – wir mussten mit, wo sollten wir auch hin?
Beim ersten Treffen war er besoffen, so haben wir ihn angetroffen.
Ich verstand es nicht, fand es spannend am Anfang,
begriff die Konsequenzen nicht, doch die Spannung währte nicht lang …
Bemüht mich um seine Liebe, bekam stattdessen nur Schimpf und Hiebe.
Fühlte mich ausgeschlossen und allein, konnte nie gut genug sein.
Du hast oft nur zugesehen: Nie versucht mich zu verstehen,
nicht zugehört, überfordert mit der Situation, war ich oft Ziel der Frustration.
Wir konnten nicht auf dich bauen und uns dir nicht anvertrauen.
Missbrauch blieb so lang verschwiegen,
konnten wir doch kein Verständnis kriegen.
Aus Angst davor, dass uns niemand glauben würde,
sagten wir nichts, trugen alleine diese Bürde.
Eines Tages erfuhrst du davon, doch es änderte sich nichts an der Situation.
Sobald es ging, flohen wir beide aus dem Haus, egal, wohin wir wollten nur raus.
Viele Jahre sind seit dem vergangen,
und trotzdem sind wir noch immer gefangen.
Loslassen und weitergehen, mit dem Alter mehr Dinge verstehen.
Und doch ist es manchmal schwer:
Ist alles schwarz und ich fühle mich leer.
Du hast dich verändert mit den Jahren,
dich bemüht mehr von uns zu erfahren, dich bemüht für uns da zu sein.
Drum lass ich Vergangenheit Vergangenheit sein.
Freu mich über das, was wir jetzt haben,
werde größer, überwinde den Graben.
Und doch …
Manchmal schau ich zurück und frag mich:
Warum schützest du uns nicht?
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