Was liegt unmittelbar vor dem Anfang der Philosophie? Wo ist der Anfang der Philosophie zu suchen? Wer ist das Subjekt der Philosophiegeschichte, der «Urphilosoph» sozusagen, nach dem Modell von Goethes «Urpflanze»? Solche – selbst bereits genuin philosophischen – Fragen werden in der traditionellen Philosophiegeschichte erstaunlicherweise nicht gestellt, geschweige denn beantwortet.
Wilhelm Windelband, einer der herausragenden Philosophiehistoriker des 19. Jahrhunderts, hat die Philosophiegeschichte treffend als «Organon der Philosophie» bezeichnet: Anders als etwa in der Kunst oder der Literatur ist die Geschichte der Philosophie in dieser Sicht immer schon unverzichtbarer und integrierender Bestandteil ihrer aktuellen Verhandlung. Längst hat die – noch vergleichsweise junge – wissenschaftliche Disziplin der Philosophiehistorie ihre eigene «Geschichte», in der es wenig Neues zu entdecken gibt: Sie wird seit dem deutschen Idealismus entweder als Geschichte der Philosophie resp. der großen Philosophen (Hegel, K. Fischer, W. Windelband) oder als Geschichte der Philosophie resp. ihrer Probleme (als «Aporetik» nach Nicolai Hartmann) getrieben. In der Gegenwart scheint allerdings insbesondere die erste Art angesichts der zunehmenden Spezialisierung auch in diesem Bereich sowie der Aufspaltung in eine «analytische» und eine sogenannte «kontinentale» Philosophie bereits auch schon wieder bedroht zu sein.
Das vorliegende Projekt beabsichtigt demgegenüber, aus einer unkonventionellen Perspektive heraus beide Aspekte zu integrieren und dadurch zu neuartigen Einsichten und Gesichtspunkten zu gelangen, die einer rein akademischen Philosophiegeschichtsschreibung verschlossen sind: Es soll eine Geschichte der Philosophie anhand des «Karma»-Begriffes erarbeitet werden, wie dieser in der Geisteswisssenschaft Rudolf Steiners aufgefasst wird. Wenn Goethe sagt, es gebe nur 36 tragische Situationen, die in der Weltliteratur lediglich variiert würden, so lässt sich entsprechend auch ein klar umrissener Katalog philosophischer Grundprobleme aufstellen. Diese Probleme – sie sind, darin besteht u. a. der sogenannte «Skandal der Philosophie» nie endgültig «lösbar» – haben ihr Karma, die Bücher der Philosophen ihr besonderes Schicksal. Darin kreuzen sich die Karmalinien der bedeutenden Philosophen, die über diese Probleme nachdachten. Diese Geschichte, eine Philosophiegeschichte in karmischer Betrachtung, steht noch aus – das vorliegende Projekt versucht, einen ersten Beitrag dazu zu liefern.