In der reichen Literatur zum Meisterwerk des Matthias Grünewald ist erstaunlicherweise der therapeutische Aspekt bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben. Dabei ist dieser fraglos sowohl für den auftraggebenden Abt des Antoniterklosters von Isenheim Guido Guersi wie für Grünewald selbst essenziell gewesen. Und mögen uns auch Quellen fehlen, die eine Praxis therapeutischen Umgangs mit dem Altar für die am Antoniusfeuer erkrankten Pilger oder die sie pflegenden Mönche belegen – der Isenheimer Altar selbst zeigt nicht nur durch viele für ein Altarbild absolut ungewöhnliche Darstellungen, sondern auch im einzigartigen Aufbau der drei jeweils 4-teiligen Tafeln sowie in deren Zusammenhang untereinander seine therapeutische Dimension. Johannes W. Rohen macht mit dieser Studie den ersten Schritt zu deren genauerer Erforschung und beschenkt dadurch zugleich jeden Betrachter mit einer neuen Erfahrensebene des Isenheimer Altars.
...Der Sinnzusammenhang der drei scheinbar völlig verschiedenen Altarstufen des Isenheimer Altars ist auf den ersten Blick schwer zu verstehen. Kunsthistoriker haben oft von einem Marienaltar gesprochen. Aber ein Marienaltar ist dies mit Sicherheit nicht, obwohl Maria viermal zur Darstellung gekommen ist. Es war wohl auch primär kein Altar für religiöse oder kultische Zwecke. Schon die Stufenfolge der Präsentation der Bildwerke weist auf andere Intentionen hin, die zur Schaffung dieses ungewöhnlichen Kunstwerkes geführt haben mögen....