Ich schreibe über den heiligen Augenblick, der alle früheren Vorstellungen vom Leben für immer über den Haufen geworfen hat; als hätte eine Bombe in mich eingeschlagen; meine frühere Persönlichkeit – ist in Stücke gerissen; und ihre Splitter haben den Boden der Beziehungen zu den Menschen aufgewühlt; die gesamten Lebensumstände sind andere geworden. Die Lettern, mit deren Hilfe ich das Buch des Lebens gelesen habe, sind verstreut; ihre zusammenhanglosen Buchstaben ergeben für mich heute Unsinn; die neuen Lettern eines neuen Alphabets sind gegossen; und einzelne Buchstaben davon sind plötzlich in das Durcheinander der alten geraten; beim Lesen der Lettern haben sie zu gröbsten Fehlern geführt. Ich weiß, dass das Verstreuen der Lettern Nietzsche um den Verstand gebracht hat; ich könnte den Verstand verlieren; aber ich werde ihn nicht verlieren. So, wie wir, wenn wir auf einem Wandschirm das Schattenbild eines Teufels sehen, merken, dass dieser Schatten nur von uns stammt: unsere Finger formen ihn; so weiß ich: die Arbeit an den Lettern wird mein Sehen verbessern; ich – werde richtig lesen: wie geistige Ereignisse mein Leben prägen. Ich – werde den Verstand nicht verlieren.
einer der bedeutendsten russischen Symbolisten (Boris N. Bugajew, geb. 1880, gest. 1934), lernte Rudolf Steiner in Köln kennen und begleitete ihn einige Jahre lang auf vielen Vortragsreisen durch Europa. 1914 ließ er sich mit seiner Frau Assja Turgenieff in Dornach nieder. Die Begegnung mit der Anthroposophie und die daraus resultierenden inneren Erfahrungen brachten erhebende und niederschmetternde Erlebnisse für Belyj mit sich. Nur wenige Schüler Rudolf Steiners vermochten es, die Erfahrungen ihres inneren Lebens niederzuschreiben. Belyj schrieb diese zehn Jahre nach seinem Dornachaufenthalt unter dem Titel ‘Materialien zu einer Biographie (intim), zu lesen erst nach dem Tode des Verfassers bestimmt’ niederzuschreiben. Mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tod wurde dieses Werk erstmals in russischer Sprache publiziert, 1992 folgte dann die deutsche Übersetzung (1. Auflage), so dass dieses ‘merkwürdige Tagebuch’, wie es Belyj nennt, nun zugänglich ist. Belyj versteht es, in diesem Werk besonders die inneren Erfahrungen seines Schulungslebens und des Lebens in der ‘Dornacher Kolonie’ mit interessanten Details darzustellen. Die ‘Geheimen Aufzeichnungen’ nehmen in seinem umfangreichen Memoirenwerk eine Sonderstellung ein. Belyj äußert selbst, dass das vorliegende Material ‘reichste Nahrung für eine Gesellschaft für psychische Forschungen darstellt’. Manche der Schilderungen lesen sich wie ein phantastischer Roman.